Da das Live-Hörspiel ein flexibles und von persönlicher Handschrift geprägtes Format ist, möchte ich euch einen Artikel an die Hand geben, der drei unterschiedliche Stile recht eindrücklich erläutert. (Süddeutsche Zeitung, Das Kreischen der Pfeffermühle, 03/2010).
Wie ihr unter Live-Hörspiel nachlesen könnt, drehte es sich bei mir von vornherein darum, gesellschaftsrelevante Themen mit Trash, Humor, bissigen Dialogen und einer Portion Skurrilität zu mixen. In den letzten Jahren empfinde ich die Lage zunehmend ernster und bin vom Krimi oder der Persiflage abgekommen. Die Realität ist Satire genug, die inneren oder die mit Freunden geführten Dialoge auf einer Suche nach Lösungen oder zumindest einem Standpunkt sind schon ziemlich komisch. Ob nun freiwillig oder nicht. Kurz: das Live-Hörspiel ist bei mir in erster Linie von Pointen, Übertreibung und (Selbst-) Ironie geprägt. Und unbedingt von draufgängerischen Schauspielern…
C L U B D’ E U R O P E
Carsten Golbecks „Club d’Europe“ dürfte weit vorn liegen, gäbe es einen Publikumspreis der „Spieltriebe“. Vor allem die Darsteller Patrick Berg, Stephanie Schadeweg und Martin Schwartengräber agierten reaktionsschnell und umwerfend witzig im Speicher drei der Spedition Hellmann.
Neue Osnabrücker Zeitung, 9.9.13
Carsten Golbeck hat die Geschichte eines uneinig geeinten Kontinents als schrille Parabel um Marketing und Politik erzählt. Vorerst mit ungewissem Ausgang. Dafür mit einer ungemütlichen Vision.
Deutschlandradio, 9.9.13
Carsten Golbeck hat daher Interviews mit Osnabrückern über die Idee Europa geführt – für den Aspekt Dokutheater/Rechercheprojekt – und die Aussagen in einen Krimiplot mit Kabarettgaudi eingebaut, um das Authentische mit dem Fiktionalen zu vermengen.
taz, 9.9.13
…Mal als Bettkantengeschichte mit Vergewaltiger, dann als TV-Show (Top-Szene!) und Liebeslied. Rasant veralbert das Trio (Stephanie Schadeweg, Patrick Berg, Martin Schwartengräber) das Europa-Desinteresse, Verschwörungstheorien und das EU-Ornigramm. Golbeck betreibt Gesellschaftskritik für Zuschauer, die noch nicht auf alles eine Antwort haben. Wer Kabarett rechthaberisch findet, ist hier richtig.
Daniel Benedict, Neue Osnabrücker Zeitung, 9.9.13
E M P Ö R M I C H !
Viele Geräusche, bunte Kostüme, filmähnliche Szenenwechsel, innere Monologe, abgelesener Text, Improvisation, Schauspiel — das Live-Hörspiel ist weder Theater, noch Hörspiel, noch Film und doch wieder alles. Kurz: eine sehenswerte Innovation.
NDR Kultur
…ein anarchischer Abend über die Hilflosigkeit, die jedermanns Wut über all die Krisenmeldungen der Abendnachrichten als heimlicher Schatten begleitet. Anderthalb Stunden lachte das Publikum dabei durch — und das, obwohl sich doch eigentlich keiner so richtig wohl fühlen konnte: die Zuschauer nicht, die hier ihre eigene Ratlosigkeit gespiegelt sahen. Die Vertreter der Friedensstadt nicht (…). Wir von der Presse nicht (…) Nicht einmal sich selbst schonte das Theater (…). Bequemen Parolen wurden die Dilemma des schwierigen Themas entgegengehalten. Ein gelungener Kontrast zu den Routinen der Empörung.
Neue Osnabrücker Zeitung
‘Live-Hörspiel brachte Gefährdung der Demokratie auf den Punkt’
”…umgeben von Computertastaturen, Hüten, Gemüse und Pappbechern, saßen die Schauspieler an einem Tisch und lieferten in wechselnden Rollen das Bild einer Demokratie, die zunehmend von Finanzkrise, Bankenwillkür, medialem Gewinnstreben und verlorenen Idealen bestimmt wird. Eingerahmt von Einspielungen einer Bürgerbefragung zum Thema Demokratie aus der Osnabrücker Innenstadt, wurden die Charaktere an ihre demokratischen Grenzen gestoßen. Wie es sich in einem Live-Hörspiel gehört, lieferten die Darsteller die akustischen Reize gleich mit. Das am Ende der idealistische Christoph weder Anke noch Holger für die Teilnahme an einer Demonstation gewann, erschien als folgerichtige Reaktion einer demokratiemüden Gesellschaft. Oder wie es die gequälte Göttin Demokrazia ausgedrückt hatte: “Alle reden so laut von mir, damit keiner hört, wie leise ich geworden bin.”
Neue Osnabrücker Zeitung
O P E R A T I O N ST E R N B E R G
Carsten Golbeck setzt in “Operation Sternberg”, seinem vierten Live-Hörspiel am Münchner Volkstheater, das Prinzip der unkontrollierten Persiflage fort. Diesmal: Fernsehcops, Mysterythriller und Action-Movies. Die TV-Kommissarin Isabella Bach ist großartig inkompetent, die hysterisch verspannte Drehbuchautorin kann keine Entscheidungen ohne ihren Therapeuten treffen, und ihr Lover mit Migrationshintergrund (das Unwort bietet Anlass zu mannigfachen Späßen) suhlt sich in den Niederungen schlechten Humors. (…) Als Trash sollte sich die charmante Livehörspielreihe noch viel ernster nehmen.
Süddeutsche Zeitung, 23.11.09
D E R H I M M E L Ü B E R B A V A R I A
…Verneigte man sich das letzte Mal noch vor den Sexploitation-Filmen, erweist man diesmal den Verschwörungstheoretikern die Ehre, allen voran Dan Brown und seinem ‚Da Vinci Code’. Sowie Kang und Kodos von den Simpsons, Tick, Trick und Track, den Western-Helden der Bastei-Lübbe-Heftchen und den Girls von Las Ketchup. Herausgekommen ist eine durchgeknallte Persiflage, die ihresgleichen sucht.
Süddeutsche Zeitung, 22.6.09
W A L K O F F A M E — R A C H E E N G E L A U F D E R B L U T I N S E L
(nach dem Originalhörspiel von U. Bassenge)
Das Publikum hat von Anfang an seinen Spaß daran, wie Jean-Luc Bubert als schmieriger Harvey Blitz in offenem Hawaii-Hemd sich plastikbecherweise Koks reinzieht und “bestialisches Schreien, geknebeltes Flehen, Todeswimmern” von seinen Darstellerinnen verlangt; wie Ursula Maria Burkhart die abgehalfterte Maria Santana gibt; wie Stephanie Schadeweg als Pussy ins Mikro piepst; und wie Timur Isik als Paul krude Szenen in die Schreibmaschine hämmert. Der Abend ist Trash pur, schmuddelig, laut, komisch. Hoffentlich wird die Reihe Live-Hörspiel fortgesetzt.
Süddeutsche Zeitung, 24.1.09